Zeitliche Entwicklung

1. Das Gemeingriechische:

So wurde irgendwo im Norden Griechenlands kurz vor dem Jahr 2.000 v. Chr. das Gemeingriechische gesprochen: Ein Dialekt innerhalb des Indogermanischen (später Griechisch genannt), der keine absolute Einheit darstellte und besondere Archaismen, Neuerungen und Formen aufwies, die aus verschiedenen Sprachkontakten mit anderen indogermanischen Dialekten herrührten.

Es liegt nahe, daß eine Sprache niemals absolut einheitlich ist, vor allem eine solche, die von Nomadenstämmen ohne zentrale Organisation und ohne Schriftkultur gesprochen wird. Es ist klar, daß auch im Urgriechischen (Protogriechischen) vielfältige Varianten bestanden.

Dabei stellt es einen der großen Streitpunkte in der linguistischen Forschung dar, ob die Aufspaltung des Protogriechischen in die einzelnen Dialekte bzw. Dialektgruppen bereits vor der Einwanderung nach Griechenland stattgefunden hatte oder ob sich die Dialektgruppen erst dort entwickelt hatten.

Dies betrifft vor allem die Differenzierung zwischen dem Ostgriechischen (das ca. 2000 vor Christus nach Griechenland gekommen war) und dem Dorischen, das mit späteren Einwanderern um ca. 1200 vor Christus in den westlichen Teil Griechenlands gelangt war.

Der Zeitpunkt der Einwanderung der ersten Griechen nach Griechenland ist uns – wenn auch unvollkommen – über das Mykenische und aus den Dichtungen von Homer bekannt. Dieses Griechisch unterscheidet sich nicht unerheblich von dem Griechischen, das gegen Ende des 2. Jahrtausends (um 1200 vor Christus) mit den Dorern eindrang.

In der Folgezeit (im 1. Jahrtausend v.Chr.) erfolgte dann

  • die Aufspaltung des Griechischen in verschiedene Dialekte,
  • die Ausbreitung einiger der Dialekte außerhalb Griechenlands, aber auch
  • eine Tendenz zur Vereinheitlichung, in der diese Dialekte sich einander annäherten.

Diese vom Attischen (der Sprache Attikas, also Athens) ausgehende Vereinigung führte zur sog. Koine – der „Gemeinsamen“ (Sprache) -, der späteren Umgangssprache des Griechischen.

Es besteht kein Zweifel, daß das Griechische in verschiedenen Wellen vom Norden her (Makedonien) in der Übergangszeit vom Althelladischen (oder minoischen) zum Mittelhelladischen nach Griechenland kam, daß heißt um das Jahr 2000 v. Chr.

Damit begann die sog. mykenische Zeit, die im einzelnen ab 1620 vor Christus bekannt ist und die mit der dorischen Einwanderung ab 1200 v. Chr. zu Ende ging. Dieser Zeitpunkt deckt sich mit der Zerstörung von Städten und Kulturen im gesamten Orient, von Ugarit bis nach Griechenland und Kreta. Man führt sie auf eine Invasion der sog. Seevölker zurück, die erst in Ägypten durch den Pharao _Merneptah gestoppt werden konnte.

Es ist die Zeit, in der die großen mykenischen Reiche Griechenlands geschaffen wurden, vor allem Mykene, Theben, Athen und Pylos._

Zu Beginn lag die militärische, wirtschaftliche und kulturelle Herrschaft über Griechenland in den Händen der kretischen Minoer, die einen sehr starken Einfluß auf die mykenische Kultur ausübten. Thera (Santorin) und sogar Athen waren zweifellos „Satelliten-Kulturen“ Kretas. Die Erdbeben auf Kreta um das Jahr 1550 vor Christus und der Vulkanausbruch auf Thera (Santorin) um dieselbe Zeit veränderten die Situation jedoch schlagartig. Bei diesem furchtbaren Ausbruch, der mächtiger als der von Krakatoa war, entstand eine Welle (Tsunami), die das gesamte Küstengebiet des ägäischen Meeres verwüstete.

Die Mykener des Kontinents übernahmen die kretischen Paläste und schufen eine neue Kultur, in dem sie beispielsweise die minoische Schrift (das bislang unentzifferte Linear A, das von einer Hieroglyphenschrift abgeleitet worden war) auf ihre Bedürfnisse anpaßten und auf diese Weise die Linear B-Schrift schufen.

2. Erste griechische Kolonisation

In diese Zeit fällt auch die erste griechische Expansion. Sie erreichte u.a. Zypern (Kypros), wo die Mykener sich um 1400 vor Christus niederließen. Sie schufen dort für die dortige einheimische Sprache (die wir eteokyprisch nennen) eine kyprisch-minoische Schrift, ähnlich dem Linear A Kretas.

Aus dieser Schrift ist die klassische kyprische Silbenschrift hervorgegangen, in der das Griechische vom 11. bis zum 3. Jahrhundert vor Christus geschrieben wurde.

Die Ausbreitung der griechischen Sprache und Schrift dauert bis etwa 1200 vor Christus an. Das letzte große Ereignis mündete in dem sagenhaften (zwischenzeitlich aber geschichtlich verifizierten) „Kampf um Troja“ um 1200 v.Chr.

Wenig später versank die griechische Kultur – wie generell sämtliche Kulturen des östlichen Mittelmeerraums – unter dem Ansturm der sog. „Seevölker“.

Die gesamte Kultur (Schrift, Malerei, Bildhauerei, Städtebau, usw.) fiel zurück in Agonie und verharrte rund 300 Jahre in diesem Zustand. Auch die Kenntnis von der Schrift ging verloren.

Erst für die Zeit um ca. 800 vor Christus findet man wieder Belege für eine Schriftkultur. Erst jetzt gibt es wieder die Möglichkeit, die griechische Sprache schriftlich zu fixieren, und zwar nun mit Hilfe des Alphabets (besser: der Alphabete), die aus dem phönizischen Alphabet geschaffen wurden.

Es ist die erste eigentliche Buchstabenschrift. Denn die erste griechische Schrift war ja keine Buchstabenschrift, sondern eine Silbenschrift.

Das bedeutet: die Griechen haben 2 x fremde Schriftsysteme übernommen und diese perfektioniert. Sie machten sie zur Grundlage ihrer Literatur und exportierten sie in zahlreiche Gegenden, deren Völker sie ihrerseits modifizierten und hieraus ihre eigenen Alphabete schufen und zu schreiben lernten. Hierin liegt in diesem Bereich der eigentliche Beitrag der Griechen.

3. Die dorische Wanderung

Die großen Völkerbewegungen, die um die Mitte des 12. Jahrhunderts die ganze Welt des östlichen Mittelmeeres stark erschütterten, brachten für Griechenland den Zusammenbruch der mykenischen Staatenwelt mit ihrer glanzvollen, hochentwickelten Kultur (kretisch-mykenische Kultur) und damit einen tiefen Einschnitt in der Geschichte.

Eine besonders wichtige Folge dieses Zusammenbruchs (nicht ihr Grund) war die Einwanderung neuer griechischer Stämme und Stammesgruppen, die sog. dorische Wanderung.

Es dürfte sich um einen komplexen, langdauernden Vorgang in 3 Schüben gehandelt haben.

Die griechischen Vorbewohner wurden zum Teil unterworfen, zum Teil verdrängt, teilweise aber auch nur überlagert, und verschmolzen mit den Einwanderern. Im Inneren der Peleponnes und in Attika hielt sich die bisherige Bevölkerung.

Diese Vorgänge lösten weitere Bewegungen aus, in denen größere Bevölkerungsgruppen vor den eindringenden Dorern auswichen und die bereits in mykenischer Zeit begonnene Auswanderung an die kleinasiatische Küste und die vorgelagerten Inseln fortsetzten (sog. erste Kolonisation).

Die einwandernden Dorer waren deutlich primitiver als die Bevölkerung, die sie vorfanden. Sie besaßen insbesondere noch keine Schrift. Die Verdrängung der kulturell höher stehenden Bevölkerung durch die (schriftlosen) Dorer war einer der Gründe, daß die Kenntnis und die Anwendung der Schrift zu Beginn dieser „dunklen Jahrhunderte“ verlorenging (vgl. das letzte Kapitel).

Mit anderen Worten: Die sog. Invasion der Seevölker war in Wirklichkeit nur die erste uns überlieferte Völkerwanderung der Geschichte, denen in späteren Zeiten während der folgenden Jahrhunderte (und Jahrtausende) noch viele weitere folgten und denen zahlreiche große Reiche zum Opfer fallen würden. Die Dorer waren ein Teil der Völkerwanderung bzw. folgten den wandernden Völkern nach.

Lange Zeit hatte man angenommen, daß die dorische Invasion die Ursache für den Untergang der mykenischen Kultur war. Allmählich setzt sich die Meinung durch, daß die Dorer erst nach der Zerstörung der mykenischen Paläste durch die „Seevölker“ und dem Umsturz ihrer Gesellschaft nach Griechenland eingedrungen und es nun (aufgrund des entstandenen Machtvakuums) um so leichter hatten, das Land in Besitz zu nehmen.

Allerdings gelang es den Dorern nicht, ganz Griechenland zu erobern. Ihr Einzugs- und Besiedlungsgebiet erstreckte sich im wesentlichen (ganz grob) auf den Westen Griechenlands. Es gelang ihnen insbesondere nicht, Attika zu erobern, wo sich zahlreiche Flüchtlinge niederließen, noch die Inseln des ägäischen Meeres. Dies wird anhand der Dialektübersicht besonders deutlich.

Ergebnis:

Man kann somit davon ausgehen, daß die Dorer vom Norden her kamen und dabei den Zusammenbruch der mykenischen Reiche im Zusammenhang mit der Völkerwanderung ausnutzten. Die Dorer waren Griechen, die bei der Einwanderung (rund 800 Jahre vorher) in Nordgriechenland zurückgeblieben waren und als Hirten in den Bergen lebten.

Ihr Dialekt war ein archaisches (urtümliches) Griechisch, das die Neuerungen und die Entwicklung des „Ostgriechischen“ nicht übernommen hatte, das seit dem Jahr 2000 nach Griechenland eingedrungen war und von dem das Mykenische, die Sprache Homers und die verschiedenen Dialekte abstammten.

Vereinfacht kann man sagen: Das Dorische stimmt mit dem Ostgriechischen in den Archaismen überein, nicht aber in den Innovationen.