Geschlecht

Ein interessantes Thema ist das Geschlecht der Substantive.

In vielen (aber bei weitem nicht in allen) Sprachen bilden die Substantive (Hauptworte) verschiedene Geschlechter. Hier drängt sich eine Reihe von Fragen auf:

  • Warum eigentlich? Wozu sind sie gut?
  • Gibt es auch in anderen Sprachen verschiedene Geschlechter?
  • Wie ist die Entwicklung der Genera?

Einige Grundfragen sollen im Folgenden behandelt werden.

Dabei sei zunächst kurz zusammengestellt, was sicher jeder in der Schule im Deutschunterricht zu dem Thema gehört hat (in den meisten Fällen aber leider auch nicht viel mehr):

1. Das Geschlecht eines Nomens (vor allem der Substantive) wird durch seinen Artikel angezeigt

2. Man unterscheidet 2 Geschlechter

  • natürliches Genus
  • grammatisches Genus.

3. Im Deutschen gibt es 3 grammatische Genera:

  • maskulin (= „männlich“) - der Verkäufer - der Löffel - der Pfennig
  • feminin (= „weiblich“) - die Verkäuferin - die Gabel - die Münze
  • neutral (= „sächlich“) - das Geschäft - das Messer - das Geld

1. Das natürliche Geschlecht („Sexus“) und das grammatische Geschlecht („Genus“)

Die herkömmliche Einteilung der Substantive in männlich (maskulin), weiblich (feminin) und sächlich (neutrum) legt natürlich den Gedanken nahe, daß die Einteilung etwas mit dem biologischen Geschlecht zu tun habe.

Dies trifft jedoch nicht zu.

Diese Annahme beruht lediglich auf dem Umstand, daß sich

  • in den alten Sprachen (z.B. im Latein) das Geschlecht in den meisten Fällen an den Endungen erkennen läßt, und
  • in der einen Gruppe verhältnismäßig viele Bezeichnungen für männliche Wesen und in der zweiten Gruppe relativ viele für weibliche Wesen befinden

So enden im Lateinischen viele Wörter der einen Gruppe im Nominativ Singular auf –us (z.B. dominus – Herr, servus – Sklave) und in der anderen Gruppe auf –a (z.B. domina – Herrin, femina – Frau, puella – Mädchen)

Aus diesem Grunde bezeichnete man die erste Gruppe als männlich und die zweite Gruppe als weiblich - auch wenn sich in der männlichen Gruppe eine Reihe von Begriffe für weiblichen Wesen befinden, und umgekehrt!

Und diejenigen Substantive, die nach ihrem grammatikalischen Verhalten weder der einen noch der anderen Gruppe angehören, bezeichnete man dann als Neutrum (von ne-uter – keines von beiden).

Im Deutschen ist man dann später noch einen Schritt weiter gegangen und hat diese Gruppe (analog zu männlich und weiblich) sächlich genannt.

Zusammenfassung: Die Einteilung der Substantive entsprechend ihrem jeweiligen grammatikalischen Verhalten in drei Gruppen (Geschlechter) ist somit sachgerecht, die Bezeichnung der Gruppen mit Maskulin, Feminin und Neutrum ist dagegen rein zufällig und letztlich willkürlich.

Wie wenig die Einteilung mit dem biologischen Geschlecht zu tun hat, zeigen z.B. das Weib, das Mädchen. Auch am Stuhl oder am Tisch wird man nichts Männliches finden. Ebenso ist nicht einleuchtend, weshalb die Wand oder die Tür weiblich sein sollen. – Übrigens sind der Stuhl und der Tisch im Französischen „weiblich“. Auch dies widerlegt die willkürliche Bezeichnung der 3 Geschlechter als männlich, weiblich und sächlich.

Ergebnis: Im Deutschen hat jedes Substantiv ein grammatisches Geschlecht, das nicht mit dem natürlichen Geschlecht von Personen verwechselt werden darf! Ein Fehler, der bei der derzeitigen Gender-Diskussion ständig gemacht wird.

Daher: Das grammatikalische Geschlecht hat mit dem natürlichen Geschlecht nichts, aber auch gar nichts zu tun!

2. Wie viele Geschlechter gibt es?

In vielen Sprachfamilien und Sprachen gibt es überhaupt keinen Genus (vgl. Tabelle) oder ist nachweislich verlorengegangen (z.B. Persisch, das als indoeuropäische Sprache ursprünglich 3 Genera besessen hat).

Genus tritt entweder häufig in den Sprachen einer Sprachfamilie auf oder selten, d.h. es wird vererbt und selten neu erworben

In vielen Sprachfamilien gibt es (teilweise sehr komplexe !) Genussysteme. Über die meisten Genera ( 7 ! ) dürfte das Suaheli verfügen. Die meisten Sprachen, soweit sie Genera besitzen, haben 2 – 3.

Dies gilt auch für die indoeuropäischen Sprachen, die ursprünglich (vgl. Latein und Griechisch) 3 Genera besaßen.

Im Französischen, italienischen und Spanischen gibt es kein Neutrum mehr, im Englischen und Persischen sind die Genera vollständig verloren gegangen. Das Deutsche und das Griechische haben noch 3 Genera.

Typische Genus-Formen sind:

  1. maskulin
  2. feminin
  3. Neutrum
  4. belebt
  5. unbelebt

3. Ursachen für die Herausbildung von Genera

Da es keine allgemeinen Regeln gibt, welches Geschlecht ein Substantiv hat, bedarf es (vor allem für einen Fremdsprachler) eines ganz erheblichen Lernaufwandes. Es muß daher auch Vorteile der Genera geben, weil diese anderenfalls im Verlauf der Jahrtausende sicherlich abgebaut worden wären, ähnlich wie es bei den Flexionen der indoeuropäischen Ursprache der Fall gewesen ist

Der größte Vorteil von Genus liegt darin, daß durch Pronomina sehr einfach auf ein Verweisobjekt Bezug genommen werden kann. – Hierzu zwei Beispiele:

1. Maria fotografierte Hans vor dem Haus, als er / sie / es 10 Jahre alt war.

Bei einer einheitlichen Form würde man sich fragen:
Wer war denn nun 10 Jahre alt? Maria? Oder Hans? Oder das Haus? 

2. Der Krug fiel in die Schale, aber er / sie zerbrach nicht. 

Eine eindeutige Aussage, auf was sich der zweite Teil des Satzes bezieht.

Dies wäre im z.B. im Englischen, das sein Genussystem verloren hat, nicht möglich:

The jug fell into the bowl, but it did not break

Dort muß man umschreiben oder das Verweisobjekt wiederholen:

The jug fell into the bowl, but the jug / the bowl did not break

4. Entwicklung von Genus-Systemen

Es gibt zahlreiche Beispiele für den Abbau von Genussystemen:

  • Englisch: 3 Genussysteme im Altenglischen (wie im Deutschen), heute keine mehr, bis auf kleine Reste (z.B. die Personalpronomina he, she – it)
  • Persisch, Armenisch, Bengali: Als indoeuropäische Sprachen hatten sie 3 Genera, die sie vollständig abgebaut haben.

Häufig ist der Verlust von Genussystemen auf den Einfluß anderer Sprachen zurückzuführen (Englisch: Nordisch, Französisch); Persisch: Mongolisch, Arabisch; Bengali: Tibeto-Burmesisch).

Außerdem sind Genussysteme von Fremdsprachen schwer zu erlernen. Wenn eine Sprache von Sprechern dominiert wird, die diese als Zweitsprache erlernt haben, kann es zu einem schnellen Abbau des Genussystems kommen.