Plansprachen

Die unüberschaubare Vielzahl verschiedenster Sprachen mit den unterschiedlichsten Strukturen, die es auf der Welt gibt, ließ schon früh den Wunsch nach einer einfachen, leicht zu erlernenden Sprache aufkommen, die nicht die bei sämtlichen Sprachen anzutreffenden zahlreichen Unregelmäßigkeiten, Besonderheiten, Ausnahmen, usw. im Wortschatz, in der Grammatik, in der Aussprache, usw. aufweist.

1. Warum eine Kunstsprache ?

Denn selbst relativ “einfache” Sprachen - wie z.B. das Englische - sind von einer “logisch” aufgebauten Sprache weit entfernt.

Und selbst das Englische ist nur für uns Europäer bzw. für diejenigen Menschen relativ “leicht” zu lernen, die zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehören und daher (über ihre Muttersprache) mit den Strukturen und Besonderheiten der indogermanischen Sprachen - also auch des Englischen - grundsätzlich vertraut sind.

Dagegen dürfte das Englische (oder eine andere natürliche Sprache) z.B. für einen Chinesen, Koreaner oder Afrikaner genauso fremd erscheinen und schwierig zu lernen sein wie umgekehrt das Arabische oder Chinesische für uns Europäer.

Dies erscheint nur auf den ersten Blick überraschend. Denn manche “exotische” Sprache ist logischer und konsequenter aufgebaut als manche europäische Sprache, die uns nur deshalb als “einfach” erscheint, weil wir sie seit frühester Jugend (z.B. als Schlagertexte aus dem Englischen, Französischen oder Italienischen) gewöhnt sind und weil uns ihre Struktur (durch die gemeinsame Zugehörigkeit zur indoeuropäischen Sprachfamilie) vertraut ist.

All dies gilt jedoch nur für uns Europäer bzw. die Sprecher einer indoeuropäischen Sprache außerhalb Europas (also im wesentlichen die Bewohner Amerikas und Australiens), also nur für rund 2 Milliarden Menschen auf der Welt. Für die anderen ca. 5 Milliarden Menschen (also für mehr als 70 % der Erdbevölkerung) ist z.B. das Englische eine fremde Sprache aus einem fremden Kultur- und Sprachkreis, die sie genauso mühselig erst lernen müssen wie wir z.B. das Arabische.

Und die ihnen durchaus nicht “leicht” vorkommt, insbesondere was die von der Aussprache völlig abweichende Schreibweise sowie die Vielzahl der Unregelmäßigkeiten in der Wortbildung und der Grammatik anbetrifft.

2. Geschichtliches

So ist es kein Wunder, daß schon in der Antike der Wunsch nach einer Universalsprache aufkam. Also zu einer Zeit, als dem Lateinische - noch weit mehr als heute das Englische - die Funktion einer lingua franca (also einer überall verstandenen Hilfssprache) zukam.

Die große Zeit der Idee einer Universalsprache kam jedoch im 17. Jahrhundert auf, als Forschungsreisen die Existenz unzähliger Sprachen ans Licht brachten und Latein allmählich seinen Rang als Universalsprache verlor. Jedoch waren diese Kunstsprachen zu wenig durchdacht und relativ unflexibel sowie ihrerseits zu kompliziert.

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts erfolgte dann der große Durchbruch der Idee einer Kunstsprache. Das erste bedeutende System war das Volapük, einige Jahre später wurde des Esperanto vorgestellt. Es folgten dann das Idion Neutral, Ido und mehrere Dutzend anderer Kunstsprachen. 1924 wurde in New York die International Auxiliary Language Association (IALA) gegründet, die die vor allem auf die Entwicklung eines gemeinsamen Wortschatzes für die verschiedenen Systeme hinarbeitete.

Die meisten der vorgeschlagenen Universalsprachen waren äußerst kurzlebig, doch einige - wie etwa das Esperanto - verzeichneten weltweit eindrucksvolle Erfolge.

100 Jahre künstliche Sprachen
Sprache Erfinder Datum Anmerkungen
Volapük (“Weltsprache”) Schleyer, Johann Martin 1880 8 Vokale, 20 Konsonanten; beruht weitgehend auf Englisch und Deutsch
Esperanto Zamenhof, Ludwig 1887 5 Vokale, 23 Konsonanten; hauptsächlich westeuropäischer Wortschatz; Syntax und Orthographie sind vom Slawischen beeinflußt
Idiom Neutral Rosenberger 1902 ein früherer Unterstützer des Volapük; stark von den romanischen Sprachen beeinflußt
Latino Sine Flexione (Interlingua) Peano, Giuseppe 1903 Latein ohne Flexionen, Vokabular hauptsächlich lateinische Wörter
Ido Louis de Beufront oder Louis Couturat 1907 Modifiziertes Esperanto (Ido heißt auf Esperanto: “abgeleitet von”)
Occidental Wahl, Edgar von 1922 Nur für die westliche Welt gedacht! beruht weitgehend auf romanischen Sprachen
Novial Jespersen, Otto 1928 Im wesentlichen Wortschatz des Ido und Grammatik des Occidental
Interlingua International Auxiliary Language Association (IALA) 1951 Die Grammatik beruht auf romanischen, der standardisierte Wortschatz auf wichtigen westeuropäischen Sprachen

3. Eine ideale künstliche Sprache


Eine “ideale” künstliche Sprache müßte einer Reihe von Kriterien genügen, wobei manche dieser Anforderungen leichter zu erfüllen sind als andere:

Leichte Erlernbarkeit :
Das wichtigste Kriterium ist, daß ihre Grammatik (verglichen mit natürlichen Sprachen) regelmäßig und einfach sein muß. Die semantische Wortbildung sollte klaren Prinzipien folgen; die Rechtschreibung muß der Aussprache entsprechen, und es darf keine schwierigen Laute geben.

Verknüpfbarkeit mit der Muttersprache:
Die künstliche Sprache müßte sich verhältnismäßig einfach in beliebige natürliche Sprachen übersetzen lassen und umgekehrt. Sie sollte eine flexible Struktur haben, die die charakteristische Sprachform der natürlichen Sprache wiedergeben kann, sie sollte zahlreiche universelle Sprachmerkmale aufweisen und sich international bereits gebräuchlicher Wortwurzeln bedienen.

Funktionsvielfalt: Die Erfordernisse der Alltagssprache müßten ebenso erfüllt werden wie die besonderen sprachlichen Anforderungen von Wissenschaft, Religion, Handel, Sport, Politik, etc. Auch die Medien der internationalen Nachrichtenübertragung (Telegramm, Radio, Fernsehen) müßten die Sprache nutzen können.

Einheitlichkeit: Es sollte keine dialektalen Abweichungen geben, die die Verständlichkeit mindern würden. Ein Aufsichtsgremium müßte alle Vorschläge bezüglich neuer Formen prüfen.

Neutralität: Die Sprache muß politisch und in bezug auf andere Sprachen neutral sein, damit alle Länder sie akzeptieren können. Viele Verfechter einer Kunstsprache sehen darin einen unerläßlichen Schritt in Richtung auf die Einheit der Menschen und eine Welt des Friedens.

Voraussetzung für neue Erkenntnisse: Für viele Befürworter einer Kunstsprache ist die internationale Kommunikation nur ein Ziel unter vielen; sie hoffen auch, daß die größere Regelmäßigkeit und Klarheit solcher Sprachen zu logischerem und rationalerem Denken und damit zu einem besseren Verständnis der Realität führen.

4. Die Probleme

Die internationale Anerkennung und Verbreitung einer künstlichen Sprache ist für ihre Verfechter ein harter Kamp, bei dem gesellschaftliche, sprachliche und politische Probleme überwunden werden müssen.

Motivation: Wie kann der Erfinder einer künstlichen Sprache seine Mitmenschen dazu bringen, eine Sprache zu erlernen, die sonst niemand kennt? - Zur Vermeidung dieser Schwierigkeit müssen zunächst viele Menschen gleichzeitig die Sprache erlernen, was äußerst schwierig zu organisieren ist.

Identität: Die meisten Menschen sind stolz auf die eigene Sprache, durch die man sich von anderen unterscheidet. Die Befürworter einer Universalsprache geraten so in Konflikt mit Bewegungen, denen an der Wahrung und Vermittlung nationaler, regionaler und sozialer Identität gelegen ist. - Zunehmender Nationalismus verhinderte so im ausgehenden 18. Jahrhundert und nochmals verstärkt nach dem 1. Weltkrieg eine weitere Verbreitung künstlicher Sprachen.

Sprachlicher Euro-Zentrismus: Die Entwicklung einer Welthilfssprache ist nicht so einfach, wie es scheint. Die meisten Kunstsprachen beruhen auf westlichen indoeuropäischen Sprachen - eine Sprachbarriere für Sprecher anderer Sprachen. Die Sprachenvielfalt der Welt wird häufig unterschätzt.