Lügen verboten!

Keine Chance für Lügner !

Manche Sprachen weisen charakteristische Besonderheiten auf.

So etwa die Schnalzlaute im Khoisan der Buschleute oder die Sprache der Inuit (der Eskimos), die über 30 verschiedene Ausdrücke für 'Schnee' haben soll. Oder das Shona, eine Niger-Kongo-Sprache in Simbabwe mit 9,2 Millionen Sprechern, das mehr als 200 Wörter für “gehen” hat (einige davon hier)

1.

Ähnlich bemerkenswert ist Trio, eine Sprache, die in Brasilien und in Surinam gesprochen wird. In dieser Sprache zwingt die Grammatik die Sprecher, den Wahrheitsgehalt einer Äußerung kenntlich zu machen!

Dies geschieht durch das Hinzufügen einer bestimmten Endung an das Verb, der sog. Frustrativ-Endung. Diese Endung ist typisch für diese Sprache und gibt darüber Auskunft, ob der Sprecher etwas nach bestem Wissen sagt oder ob er weiß, daß die Äußerung nicht wahr ist oder ob er etwas nur vom Hörensagen kennt.

Der Sprecher muß sich also hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes seiner Aussage festlegen. Er muß Farbe bekennen und darf sein subjektives Wissen, ob eine Aussage seiner Meinung nach richtig oder falsch ist oder ob er sie nur vom Hörensagen kennt, nicht verschweigen.

Vage, unbestimmte Aussagen , wie sie in fast allen anderen Sprachen möglich und üblich sind, sind in Trio ausgeschlossen.

Wer in Trio diese grammatische Spielregel mißachtet, dem Verb die betreffende Endung anzuhängen, wird schnell als Lügner betrachtet.

2.

Hierzu eine typische Begebenheit: In Surinam, das östlich von Venezuela liegt, ist die Amtssprache Niederländisch. Alle offiziellen Angelegenheiten werden in dieser Sprache geregelt und später durch einen Dolmetscher in eine der einheimischen Sprachen, etwa ins Trio, übersetzt.

So sagte einmal ein Staatsbeamter in Gegenwart von Trio-Sprechern: "Ich habe gesagt, daß wir eine Schule bauen werden, aber jetzt hat sich erwiesen, daß wir dafür kein Geld haben."

Die Dolmetscherin vergaß nun, beim Verb "gesagt" die Frustrativ-Endung anzuhängen. Sie hatte also offen gelassen, ob der Staatsbeamte es nach bestem Wissen gesagt hatte oder ob er wußte, daß die Äußerung unwahr war.

Durch das Versäumnis der Dolmetscherin entstand für die Trio-Sprecher zwangsläufig der Eindruck, als habe der Beamte schon während des Versprechens (die Schule zu bauen) gewußt, daß keine Schule gebaut würde.

3.

Normalerweise sind Sprachen bedeutend vager in ihren Aussagen über den Wahrheitsgehalt. Selbst in vollausgebildeten Standardsprachen wie etwa Deutsch, Englisch, Französisch, Niederländisch, die für alle Lebensbereiche passende Wörter und Ausdrücke haben, wird eine derartige Genauigkeit in Bezug auf den Wahrheitsgehalt einer Aussage nicht erreicht und - häufig bewußt - auch gar nicht angestrebt.

Im Gegenteil versucht man oft, den Wahrheitsgehalt oder wichtige Einzelheiten einer Aussage offen zu lassen.

So verwendet man im Deutschen - oft unbewußt, manchmal aber auch gezielt - beispielsweise das Stilmittel des Passiv (“es wurde ...“ statt „ich habe ...“), wenn man sich nicht festlegen will.

Beispiele aus der Wirtschaft, der Familie und der Politik.:

„Es muß gespart werden“ (Passiv!)
statt des klaren und eindeutigen Aktiv:

-  „Die XY-Abteilung muß sparen“,
-  „Wir wollen die XY-Subvention streichen“ oder
-  „Wir können dieses Jahr keine Urlaubsreise
machen“.

Denn das Passiv ist ganz besonders geeignet, die Person oder die Sache, um die es geht, im unklaren zu lassen.
Das Passiv ist geradezu die typische Ausdrucksform des Unverbindlichen, Unklaren, Nebulösen.

Während man im Aktiv Farbe bekennen muß, bleiben die Einzelheiten einer Aussage (vor allem die entscheidenden) im Passiv offen.

Im Aktiv ist dies natürlich zwar auch grundsätzlich möglich, aber deutlich schwieriger und umständlicher.

Achten Sie einmal darauf, wie oft jemand aus dem (präzisen) Aktiv plötzlich in das unklare, unverbindliche Passiv fällt, wenn er sich nicht festlegen will.

4.

Im Trio muß man dagegen selbst bei einem harmlosen Satz wie "Der Frau ist auf den Markt gegangen" in der Verbform angeben, ob man dies selbst gesehen hat oder ob man es vom Hörensagen oder auf andere Weise weiß.

In den meisten Standardsprachen ist diese Präzision nur mit zusätzlichen Nebensätzen möglich („Wie ich gehört habe, ...“, „Der Verkäufer sichert zu / steht dafür ein / garantiert/, daß ...“). und wird im allgemeinen auch nur in der juristischen Fachsprache angestrebt.

Daß das Trio solche Unterscheidungen macht, ist um so erstaunlicher, als die Sprecher dieser Sprache einfache Landbewohner sind, die von der Jagd und dem Ackerbau lebt.

Insgesamt gibt es nur noch etwa 2.200 Sprecher des Trio. Es handelt sich somit um eine vom Aussterben bedrohte Sprache.

Ob es an der Wahrheitsliebe liegt, die ja auch vom Aussterben bedroht ist?  ;-)