Deklination

Die Entwicklung der Fälle ist in den romanischen Sprachen einheitlich verlaufen:

Bereits im klassischen Latein setzt eine Entwicklung ein, die Fälle (Kasus) durch eine Präposition zu ersetzen, vor allem die Kasus Genitiv und Dativ

filius regis > filius de rege, filius ad regem (il figlio del re)
da librum patri > da librum ad patrem (da il libro al padre)

Eine ähnliche Entwicklung ist derzeit im Deutschen zu beobachten: Immer häufiger wird (vor allem umgangssprachlich) eine Präposition statt des Genitivs verwandt: “Das Auto von meinem Chef” statt: “Das Auto meines Chefs”)

Auch im klassischen Latein wird der Teilungs-Genetiv relativ früh durch eine Präposition mit Ablativ ersetzt und auf diese Weise die Kasusbedeutung verdeutlicht. In festen Wendungen wird der Teilungsgenitiv mit de oder e umschrieben

(pauci de nostris, unus e / de consulibus)

Ähnlich ist es beim Dativ, der bei dare häufig mit ad gebildet wird.

Die romanischen Sprachen haben dieses System vollständig übernommen:

  Vulgärlat. Ital. Franz.
Genetiv de di de
Dativ ad a à

Die Kasusendungen des Genitiv und Dativ wurden daher nicht mehr benötigt. Sie wurden bald nicht mehr gesprochen und schließlich überwiegend auch nicht mehr geschrieben.

Ähnlich ist es mit den übrigen Fällen: Nominativ (Subjekt) und Akkusativ (Objekt) werden nicht mehr nach ihrer Endung, sondern durch ihre Stellung vor bzw. nach dem Prädikat unterschieden. Dadurch entfällt die Notwendigkeit, die Kasusendungen zu benutzen. Im Ergebnis entfällt der Akkusativ.

Auch der Ablativ verliert immer mehr an Bedeutung. Er wird - vor allem nach bestimmten Präpositionen - mehr und mehr durch den Akkusativ ersetzt, bis er schließlich mit diesem völlig wegfällt.

Ein schöner Beleg hierfür findet sich auf der Seite (dort 3.) über die Quellen des Vulgärlatein: Der Brief eines einfachen Soldaten aus dem Jahr 115 n. Chr., der aus Norditalien oder Gallien stammt, und aus Alexandria an seinen Vater schreibt.

Ein Nachteil - und zwangsläufige Folge - des Wegfalls der Kausendungen ist, daß die freie Wortstellung des Lateinischen verlorengeht. Man kann die Wörter nicht mehr (weitgehend) beliebig plazieren.

Während bei Caesar und Cicero die Reihenfolge der Worte weitgehend gleichgültig war (die Funktion der Wörter war ja durch ihre Endung eindeutig definiert), muß in den modernen romanischen Sprachen in aller Regel eine feste Wortstellung eingehalten werden: Nominativ (Subjekt) vor das Verb, und der Akkusativ (Objekt) dahinter.

Das lateinische Kasussystem lebt in keiner romanischen Sprache weiter. Im Altfranzösischen, Altprovenzalischen und Rumänischen ist ein Zweikasussystem erhalten, ansonsten gibt es die Kategorie Kasus nur noch bei Pronomina (lui, egli, gli, lo usw.)

Quelle: Bodmer, Die  Sprachen der Welt (Das lateinische Erbe);
Palmer, Die lateinische Sprache