Klassisches Latein: Aussprache

Worin liegt eigentlich das Problem?

Von allen alten Sprachen ist die Aussprache des Lateinischen sicherlich am Einfachsten. - So einfach, daß man sich fragen könnte: Kann man lateinische Texte denn nicht einfach so vorlesen, "wie es da steht"? Kann man denn nicht einfach sagen: “Man spricht es, wie man es schreibt” ?

Ja, in der Tat - man kann es. Ob diese Aussprache dann allerdings dem entspricht, was die Menschen damals zur Zeit des römischen Imperiums gesprochen haben, ist eine andere Frage. Und ob “irgendeine” Aussprache noch die Ästhetik und den Klang des ursprünglichen Originals ausweisen, ist mehr als fraglich.

Hinzu kommt, daß der Grundsatz “Man spricht, wie man schreibt” alles andere als eindeutig ist. Denn auch heute wird das Latein in jedem Land und in jeder Sprache zwar gleich geschrieben, jedoch unterschiedlich ausgesprochen. Deutsche lesen das Lateinische deutsch vor, Engländer englisch, Franzosen französisch.

Dazu zwei kleine Beispiele:

  “Horaz”: Hohrahz? Ohrass? Horress? - Oder “Caesar”: Zehsar? Kesa? Sisar? Tschäsare? Kaisar?

Sogar innerhalb des gleichen Landes wird das Lateinische - je nach Mundart des Sprechers - verschieden ausgesprochen.

  “Kwo uskwä tondemm abbutäre, Gaddilino, pazjenzjah nosstra?”

Daß die Sprache hierdurch ihrer gesamten Ästhetik, ihres Klanges - ja ihrer Faszination beraubt wird, liegt auf der Hand.

Es erscheint daher wichtig, sich national wie international um eine einheitliche, der urprünglichen Sprechweise möglichst nahekommende Aussprache zu bemühen.

Die Aussprache des klassischen Latein (zur Aussprache des Vulgärlatein (also des “Alltagslatein”) vgl. die nächste Seite)

Die wichtigsten Regeln sind folgende:

  • Die Buchstaben I und U werden im Anlaut vor Vokalen als Halbvokale (wie J z.B.: Iulius; bzw. wie V z.B.: Vitruvius) gesprochen, ebenso wird U zwischen Q bzw. NG und Vokalen als V gesprochen (z.B.: quis, lingua), sowie in den Stammsilben sua- und sue- (suavis, suetus).
  • S wird immer als S, nie wie deutsch sch- gesprochen (z.B. schola [= skola], spelunca).
  • Der Konsonant C wurde klassisch immer wie "K" ausgesprochen.

Der Satz

Cäsar und Cicero gingen ins Konzil,
Cäsar im Zylinderhut, Cicero in zivil.

würde in klassischer Aussprache daher lauten:


Kaesar und Kikero gingen ins Konkil,
Kaesar im Kylinderhut, Kikero in kivil.

Erst in der Spätantike wurde das C vor E (auch AE, OE) oder I (auch Y) zu einem Reibelaut verändert ("Z"), der in den romanischen Sprachen weiterentwickelt wurde (klass. CENTUM [kentum] = 100; spätantik CENTUM [zentum]; frz. cent [ß-]; it. cento [tsch-]; sp. ciento [ßh-]).

Eine ähnliche Lautentwicklung betrifft die Buchstabenfolge -ti- vor Vokalen, die klassisch immer als -ti- , ab der Spätantike wie -zi- gesprochen wurde (z.B.: natio). Nur nach s, t, x und in griechischen Namen blieb die Aussprache -ti- (bestia, Bruttium, permixtio).

Das klassische Latein kannte übrigens weder eine Unterscheidung zwischen Groß- und Kleinbuchstaben (Majuskeln und Minuskeln) noch irgendwelche Satzzeichen.

Betonung

Lateinische Wörter sind entweder auf der vorletzten oder der drittletzten Silbe betont.

  • Zweisilbige Wörter sind auf der vorletzten Silbe betont (Roma).
  • Mehrsilbige Wörter sind auf der vorletzen Silbe betont, wenn diese lang ist (Romanus), anderenfalls auf der drittletzten (Sicilia).

Wann ist eine Silbe lang ?

  • Wenn sie einen langen Vokal oder Diphthong hat (Roma, caulum): sog. Naturlänge ,
  • oder wenn auf einen Vokal zwei oder mehr Konsonanten folgen (fenestra): sog. Positionslänge (dabei gelten X und Z als Doppelkonsonant)